Thomas Sparr

Todesfuge - Biographie eines Gedichts

Falls du das Gedicht von Paul Celan nicht kennst, habe ich es hier kopiert. Du findest das Gedicht sowie eine Rezitation auf dieser Seite:

 

Todesfuge (Paul Celan) (lyrikline.org)

 

Paul Celan hat das Gedicht selbst gelesen.


Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus  Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland  
 
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Der Text des Gedichts ist der Einstieg in die  "Biographie".


Über die   "Todesfuge - Biographie eines Gedichts"

In dem Text "Todesfuge - Biographie eines Gedichts" geht es darum die Darstellung der Entstehung, Verbreitung und Rezeption der Todesfuge. Das Gedicht spielt auf die Gräueltaten der Nazis an - immer wieder, in allen Variationen. Eindringlich. Für mich hat eines der bekanntesten deutschen Gedichte die Aufgabe, die Gräueltaten der Nazis  lebendig zu halten. Sie vor dem Vergessen zu bewahren. Das gelingt ihm. Das Kopfkino setzt unmittelbar ein, wenn man die ersten Zeilen der Todesfuge liest oder hört.

Paul Celan ist der Sohn jüdischer Eltern. Übrigens ist der Nachname eine Verdrehung von Antschel, später rumänisiert Ancel,  dem Geburtsnamen Celans. Er wächst in Czernowitz im heutigen Rumänien auf. Im Hause Antschel wird Deutsch gesprochen.

In Czernowitz hat die Todesfuge ihren Ursprung. Während die Nazis in Celans Heimatstadt einfallen, die Juden in Gettos einpferchen und viele Menschen im Arbeitslager schinden, entkommt Celan der Deportation, weil er in dem Lager arbeitet. Er muss Kontakt zu einem kleinen literarischen Kreis im Getto von Czernowitz gehabt haben, denn die zentrale Metapher des Gedichts "Schwarze Milch der Frühe" stammt ursprünglich aus einem Gedicht von Rose Ausländer, meiner Einschätzung nach ebenfalls eine große deutsche Dichterin - wenig bekannt und sehr unterschätzt. Sie lebte in äußerst beengten Verhältnissen im Getto von Czernowitz, das auch ihre Heimatstadt ist. Sie schreibt ebenfalls auf Deutsch. Vor dem Krieg hält sie sich in den USA auf und schreibt auf Englisch.

Thomas Sparr weist nach, dass Celan Ausländers Metapher verwenden darf, doch das geschieht in einem Nebensatz. Es ist leicht zu überlesen.

Während die gesamte Biographie gut recherchiert ist, auf viele Details eingeht, den Abstieg sowie den Aufstieg in der Rezeption sowie in der Wahrnehmung der Deutschen der Todesfuge akribisch nachzeichnet, wird mir die gemeinsame, vermutlich kurze Berührung mit Rose Ausländer zu wenig ausführlich dargestellt. In diesem Punkt hatte ich mir mehr von Sparrs Text erhofft.

Nichtsdestotrotz ein wichtiges Buch.

 

Wer Interesse an der Lyrik Ausländers hat, der empfehle ich diese Webseite, die zahlreiche weiterführemde Links enthält:

 

Universitätsbibliothek | Freie Universität Berlin : Service - Internetquellen (archive.org)